Unternehmenskultur heute und morgen – gleich aber anders?

Ein Beitrag von Birgit Schreder-Wallinger


Edgar und Peter Schein gewährten beim 3. Agilen Abend der Fachhochschule Salzburg einen spannenden Einblick in ihren großen Fundus aus über 100 Jahren Lebenserfahrung, Eindrücken aus unterschiedlichsten Unternehmen und vielen Jahrzehnten wissenschaftlicher Forschung. Richtungsweisende Gedanken für die Arbeitswelt von morgen.

Die Pandemie ist nicht groß genug uns zu verändern

„Wie verändert die Pandemie die Kultur in unseren Organisationen?“ So eröffneten die Studierenden der FH Salzburg das Gespräch mit Edgar und Peter Schein, die am anderen Ende des Zoom Calls gerade noch ihren Frühstückskaffee beendeten. Edgar Schein war Schüler von Douglas McGregor und beeinflusste wie sein Lehrmeister den Diskurs zum Thema Unternehmenskultur maßgeblich. Seit kurzem bündelt er sein reiches Wissen mit der Erfahrung seines Sohnes, die dieser in den vergangenen 20 Jahren als Berater vieler Organisations- und Strategieentwicklungen im Silicon Valley machte.

Die erste spannende Einschätzung ließ nicht lange auf sich warten. „Die Pandemie ist nicht groß genug uns zu verändern“, sagte Peter Schein und erinnerte daran, was Kultur wirklich ist: Eine Ansammlung gemeinsamen Lernens, ein über viele Jahre erlerntes Phänomen, dessen DNA eine beachtenswerte Stabilität aufweise. Natürlich veranlasst uns die Pandemie zu Anpassungen – wir verändern unsere Kommunikation oder sind gezwungen unser Führungsverhalten zu überdenken. Unsere kulturelle DNA werde sich allerdings von der Pandemie nicht aus der Ruhe bringen lassen, erklärten die Scheins.

Der Hebel ist der Mensch

Heißt das also: Business as usual sobald die Pandemie aus den Schlagzeilen verschwunden ist? Zurück in die Büros und hello again altbekanntes Command-and-Control? Was in aller Welt verändert eine Kultur, wenn es so etwas Fundamentales wie eine Pandemie nicht kann?

Edgar und Peter Scheins Blick auf Organisationen erscheint wohl aufs erste ernüchternd. Unter ihm schwindet die Hoffnung, dass die Pandemie letzten Endes für irgend etwas gut war. Ihr Blick lässt Blasen platzen – wie jene der agilen Transformation – in der viele Organisationen liebend gerne durch den VUKA-Kosmos schweben würden – schimmernd, leichtfüßig und beweglich. Geht es nach den Scheins werden uns weder eine Pandemie, noch eine großartige Methodik oder ein gut geplantes Transformationskonzept die Arbeit abnehmen, die wirkliche Veränderung fordert: Die Konfrontation mit uns selbst und unserem Gegenüber. Der Hebel der Veränderung ist und bleibt der Mensch. Daran erinnerte Peter Schein, als er T. S. Eliot zitierte:

They constantly try to escape. From the darkness outside and within. By dreaming of systems so perfect that no one will need to be good.

„Es sind die Menschen in Organisationen, die bereit sind, sich anzupassen, sich zu verändern und neue Wege einschlagen, die Organisationen voranbringen. Und keine überragenden Systeme“, so Schein.

Wie bringt man Menschen in die Gänge?

Wie bringt man Menschen dazu, neue Wege zu gehen – gerade dann, wenn diese Versuche in der Vergangenheit von Misserfolgen gesäumt waren? Dass der Mensch biologisch gesehen in der Lage ist, bis ins hohe Alter zu lernen, ist seit der Entdeckung der Neuroplastizität bewiesen. Warum es trotzdem häufig nicht funktioniert, darauf findet der Neurobiologe Gerald Hüther eine Antwort: Das Begeisterungsproblem. Ein Problem, das aus einer Kultur ständiger Ab- und Bewertung resultiere. „Um uns zu begeistern, brauchen wir andere Menschen. Und zwar Menschen, die uns einladen, ermutigen und inspirieren, noch einmal etwas Neues lernen zu wollen.“ Neben diesen Menschen braucht es in Organisationen auch Räume für diese Erfahrungen. Räume, in denen Experimente möglich, Fehler als Lernchancen wahrgenommen und neue Wege begrüßt werden.

Dem stimmte auch Peter Schein zu: „Wir lernen in Experimenten“ sagte er und ermutigte, eine Kultur des Experimentierens in kleinen Teams einzuführen. Anstatt zwanghaft zu versuchen, ein komplettes Unternehmen zu transformieren, ginge es darum, Erfolge im Kleinen zu ermöglichen, davon zu erzählen und Menschen einzuladen, es selbst auszuprobieren. Und dann, irgendwann wird vielleicht auch die DNA der Organisation einen Schub tun.

Herr Schein, wie sieht es jetzt aber aus mit der Zukunft?

Hat man schon einmal die Gelegenheit den über 90-jährigen Edgar Schein als Gesprächspartner zu genießen, entsteht unweigerlich das Bedürfnis an seiner Einschätzung über die Zukunft teilzuhaben.

„Alles was Maschinen machen können, werden Maschinen machen. Was übrig bleiben wird, werden die komplexen Probleme sein, die Maschinen nicht lösen können“.

Diese, so weiß Schein, werden auch wir Menschen nur gemeinsam bewältigen können. Vielleicht ist es dieser Blick auf die Zukunft, der Edgar Schein mehr und mehr zu der Überzeugung kommen lässt, dass es in der Welt nicht um Individualität, sondern um Beziehungen gehe. Dass das Ziel der Menschheit weniger das sein müsse, seine emotionale Kompetenz zu entwickeln. Dass wir stattdessen danach trachten sollten, unsere Beziehungskompetenz zu erweitern. Denn nur wenn wir erkannt haben, dass wir gemeinsam mehr erreichen als im Alleingang, werden wir daran arbeiten, die Art und Weise wie wir miteinander umgehen, weiterzuentwickeln. Dann werden wir die Herausforderungen der Welt bewältigen können. „Und ja, vielleicht wäre die Welt dann eine bessere“, so Schein.

Zur Veranstaltung: Der 3. Agile Abend fand am 3. Mai 2021 online mit mehr als 200 Teilnehmer & Teilnehmerinnen statt. Unter dem Motto „Unternehmenskultur: Gestern – Heute – Morgen“ waren Edgar Schein und Peter Schein geladen.

Birgit Schreder-Wallinger

Birgit Schreder-Wallinger ist freie Texterin bzw. Ghostwriter für Fach- und Sachbücher. Als Autorencoach unterstützt Sie Experten bei der Umsetzung ihrer Bücher. Auf ihrem Blog veröffentlicht sie Tipps für Autoren und Rezensionen aktueller Sach- und Fachbücher. Außerdem schreibt sie Text rund um die Themenbereiche Agilität, neues Arbeiten, Organisationsentwicklung, Strategie, Leadership und Erfolg.
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